Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hatte den Senat von Berlin im Frühjahr 2016 aufgefordert, einen Luftreinhalteplan für Berlin aufzustellen, der gewährleisten muss, dass der Grenzwert für Stickoxid in Höhe von 40 µg/m³ überall in der Stadt eingehalten wird. Der Senat ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen, so dass die DUH, vertreten durch unser Büro, im Juni 2016 Klage erhoben hat.

 

Das Gericht hat den Senat nun verurteilt, einen entsprechenden Luftreinhalteplan unter Einbeziehung von Fahrverboten bis spätestens 31.3.2019 zu beschließen. An der Erstellung dieses Luftreinhalteplans wird vorab die Öffentlichkeit beteiligt, so dass in den nächsten Wochen mit einer entsprechenden Auslegung des Planentwurfs zu rechnen ist.

 

Die Senatsverwaltung hat im Klageverfahren eine Liste mit Straßen vorgelegt, auf denen der Grenzwert nach derzeitigen Berechnungen auch in den nächsten Jahren nicht eingehalten wird. Die DUH hatte dem Senat vorgehalten, dass diese Liste bei weitem nicht alle Straßen erfasst, auf denen es - nach den eigenen Berechnungen des Senats - zu einer Grenzwertüberschreitung kommen wird. Der Senat hatte eingeräumt, dass seine Prognose durchschnittlich um 4 µg/m³ unterschätzt. Trotzdem wollte er diese zusätzlichen 4 µg für die Grenzwertüberschreitungen nicht berücksichtigen. Das Verwaltungsgericht hat klargestellt, dass der Senat diese 4 µg aufschlagen muss. Die Zahl der Straßenabschnitte mit prognostizierten Grenzwertüberschreitungen erhöht sich damit auf 117 Straßenabschnitte.

 

 

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass für einige der besonders hoch belasteten Straßen Fahrverbote unvermeidlich sind und deshalb spätestens im Sommer nächsten Jahres in Kraft treten müssen. Für alle anderen Straßen, auf denen es zu den prognostizierten Grenzwertüberschreitungen kommt, muss der Senat im Luftreinhalteplan entweder ebenfalls Fahrverbote verfügen oder zweifelsfrei nachweisen, dass mit anderen Maßnahmen der Grenzwert unterschritten wird.

 

Die Tabelle der Senatsverwaltung mit den Straßenabschnitten, für die im Jahr 2020 Grenzwertüberschreitungen prognostiziert werden, können Sie hier einsehen. In der Spalte

 

„NO2 [µg/m³] unter Berücksichtigung einer Marge für Modellunsicherheiten von 10 % bzgl. Grenzwert (4 µg/m³)“

 

finden Sie diejenigen Abschnitte, für die entweder ein Fahrverbot eingeführt werden muss oder für die die Senatsverwaltung bis Ende März nachweisen muss, dass sie durch kurzfristige andere Maßnahmen den Grenzwert unterschreitet (beispielsweise durch Tempo 30, was dann aber bis Sommer 2019 angeordnet sein müsste). Die Spalte mit der Berücksichtigung des 10-Punkte-Programms der Berliner Mobilitätsgespräche spielt dagegen keine Rolle, weil solche freiwilligen Maßnahmen aus rechtlichen Gründen nicht einberechnet werden dürfen (ihre Wirkung kann nämlich nicht vorhergesagt werden).

 

Das Verwaltungsgericht hat als eine Minderungsmaßnahme die Einbeziehung von Tempo-30-Anordnungen zugelassen. Sofern der Senat an den weiteren Straßen, an denen es zu Grenzwertüberschreitungen kommt, Fahrverbote vermeiden will, wird er also in den meisten Fällen spätestens zum Sommer 2019 Tempo-30-Zonen einrichten müssen.

 

Das Verwaltungsgericht gesteht dem Senat zu, dass er bei der Anordnung von Tempo-30-Zonen von einer vorläufigen Minderungswirkung in Höhe von 5 µg/m³ ausgeht. Das Gericht hat allerdings in der mündlichen Urteilsbegründung deutlich gemacht, dass die Frage, welche Minderungen tatsächlich von Tempo 30 ausgehen, konkret durch Messungen kontrolliert und nachgewiesen werden muss.

 

Die DUH hatte dem Senat in dem gerichtlichen Verfahren vorgehalten, dass die Minderungswirkung von Tempo-30-Zonen von Straße zu Straße sehr unterschiedlich sind und teilweise deutlich unter 5 µg/m³ liegen werden. Durch die in dem Urteil zu erwartende Verpflichtung, die Unterschreitung des Grenzwertes bei neuen Tempo-30-Zonen durch zeitgleich stattfindende Messungen nachzuweisen, wird sich zeigen, ob der Grenzwert dann eingehalten werden kann.

 

Die DUH hatte dem Senat weiter vorgehalten, dass sowohl seine Messungen im Stadtgebiet als auch seine Prognose für das Jahr 2020 die tatsächliche Belastung in der Stadt nicht richtig erfassen. Der Senat betreibt in Berlin sechs Messungen mit sog. Messcontainern an verkehrsnahen Standorten und gut 20 Messungen mit sog. Passivsammlern.

 

Die DUH hatte aufgezeigt, dass die Werte der sechs Messcontainer die Anforderungen der Luftqualitäts-Richtlinie nicht erfüllen, weil sie nicht an den Stellen positioniert sind, an denen mit der höchsten Belastung zu rechnen ist. Die Richtlinie verlangt, dass vor allem an diesen Stellen gemessen wird. Der Senat hatte selbst eingestanden, dass die Messcontainer die Belastung in engeren Straßenschluchten nicht abbilden können.

 

Im Gerichtsverfahren hatte der Senat die Ergebnisse der Messungen aus den Passivsammlern vorgelegt. An nahezu allen Stellen, an denen Messungen durch Passivsammler des Senats erfolgen, sind die Grenzwerte teilweise gravierend überschritten. Da Passivsammler auch in engeren Straßen aufgestellt werden können, geben diese ein realistischeres Bild von der Belastung in der Stadt.

 

Das Verwaltungsgericht wird voraussichtlich dem Argument der DUH folgen, wonach die Messungen in der Stadt so erfolgen müssen, dass sie sowohl die am höchsten belasteten Stellen erfassen als auch eine repräsentative Ermittlung der Belastung im gesamten Stadtgebiet ermöglichen. Auch hieraus wird der Senat deutliche Konsequenzen ziehen müssen.

 

Die Liste mit dem Vergleich der für das Jahr 2015 prognostizierten Werte und den mit den Passivsammlern tatsächlich gemessenen Werten finden sie hier. Im Durchschnitt ermitteln die Messungen knapp 10 % mehr Stickoxide als das, was der Senat durch sein Modell prognostiziert hatte. Der Senat hat eingestanden, dass sein Modell tendenziell unterschätzt.

 

Der Senat hat außerdem die Messergebnisse seiner Passivsammler bis einschließlich 2017 vorgelegt. Diese Tabelle finden Sie hier. Man sieht, dass die Werte zurückgegangen sind, dass aber trotzdem an jeder (!) Messstelle (bis auf eine Ausnahme) der Grenzwert im Jahr 2017 überschritten war.

 

Das Verwaltungsgericht wird dem Senat voraussichtlich aufgegeben, die Einhaltung der Grenzwerte künftig besser zu kontrollieren. Diese Kontrolle wird überall dort erforderlich sein, wo sich nicht sicher prognostizieren lässt, dass der Grenzwert unterschritten wird.

 

In der mündlichen Verhandlung wurde ausführlich über die Frage diskutiert, ob und in welchem Umfang der Senat einen Planungs- bzw. Ermessensspielraum für sich in Anspruch nehmen kann. Diese Frage spielt für mehrere Aspekte eine Rolle:

 

Für die Unterschreitung der Grenzwerte spielen die Berechnungsmethoden und die Art sowie die Intensität von Messungen eine zentrale Rolle. Wird für die Prognose ein Modell verwendet, das tendenziell unterschätzt, bedeutet dies, dass die tatsächliche Belastung höher liegt. Wird nicht an denjenigen Stellen gemessen, an denen die höchsten Belastungen auftreten, werden diese Orte mit Grenzwertüberschreitungen nicht erfasst.

 

Das Gericht gesteht dem Senat hier einen gewissen Spielraum zu, den es allerdings in einigen Punkten konkretisiert hat.

 

Das Gericht hat festgestellt, dass die unterschätzende Tendenz des Prognosemodells einberechnet werden muss. Konkret bedeutet dies, dass auf die Prognoseergebnisse des Senats für das Jahr 2020 pauschal 4 µg/m³ aufgeschlagen werden müssen.

 

Das Gericht wird dem Senat wohl zugestehen, dass Grenzwertüberschreitungen im Bereich von 1 bis 2 µg tolerierbar sind, weil dies im Bereich der üblichen Mess- bzw. Prognoseungenauigkeit liege. Der Senat wird politisch entscheiden müssen, ob er eine solche Überschreitung verantworten will.

 

Ob das Gericht dem Senat deutlichere Vorgaben macht, an welchen Stellen und in welcher Intensität gemessen werden muss, lässt sich ohne Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe noch nicht absehen.

 

Das Urteil erging auf die Klage der DUH als anerkannte Umweltvereinigung. Die DUH hat hier stellvertretend für die von zu hohen Stickoxidbelastungen betroffenen Bürgerinnen und Bürgern geklagt. Besonders betroffene Bürgerinnen und Bürger können aber selbst dafür sorgen, dass die Vorgaben der Luftreinhalterichtlinie und damit der Grenzwert in ihrer Straße sicher eingehalten werden. Der Europäische Gerichtshof hat bereits im Jahr 2008 entschieden, dass sich nicht nur Umweltvereinigungen, sondern auch einzelne Betroffene auf das Luftreinhalterecht der EU berufen können und dessen Einhaltung vor Gericht durchsetzen können (EuGH, 25.7.2008, C-237/07, Janecek ./. Freistaat Bayern).

 

Betroffene Bürgerinnen und Bürgern, die entweder wissen, dass der Grenzwert vor ihrem Haus nicht eingehalten wird oder die dies belastbar überprüfen lassen wollen, können nun selbst entsprechende Schritte einleiten. Sie können beispielsweise selbst Messungen in ihrer Straße durchführen lassen und bei Feststellung einer Grenzwertüberschreitung vom Senat verlangen, umgehend entsprechende Maßnahmen zur Verbesserung der Luft vorzunehmen. Hierzu können sich auch mehrere AnwohnerInnen einer Straße zusammenschließen. Derartige Verfahren werden dazu beitragen, dass in absehbarer Zeit der Grenzwert wirklich stadtweit eingehalten wird.

 

Alle Bürgerinnen und Bürger sollten sich außerdem aufgerufen fühlen, im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung für die Neuerstellung des Luftreinhalteplans entsprechende Forderungen gegenüber dem Senat aufzustellen.

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